Prädation

Seit Beginn der 1990er Jahre leidet der Großtrappenbestand, ähnlich wie der vieler anderer Bodenbrüter, zusätzlich unter einem stark angewachsenen Druck von Beutegreifern. Eine große Anzahl der Gelege und Jungtrappen werden von Fuchs, Marderhund, Waschbär und Rabenvögel erbeutet.

In den letzten Jahren nehmen außerdem die Verluste von Jung- und Altvögeln durch Seeadler immer mehr zu. Beutegreifer verhindern seit Jahren eine bestanderhaltende Nachwuchsrate auch in den Gebieten, in denen die landwirtschaftliche Nutzung zum Schutz der am Boden brütenden Großtrappen gelenkt wird.

Die Schaffung von Umzäunungen, die jeweils Areale von ca. 20 ha umfassen, kann die Gelege und Jungvögel vor Bodenfeinden schützen. Aktuell schaffen es die Hennen fast nur hier, ihre Küken erfolgreich großzuziehen. Ein wichtiges Argument, um die Bekämpfung von Raubsäugern in den Brutgebieten zu intensivieren.

 Prädation – ein Ursache für den Bestandsrückgang

Auf Grund ihrer karnivoren Ernährungsweise greifen Prädatoren immer reduzierend in die Populationsstärke ihrer Beutetiere ein (VOIGT 2009). Prädation, eigentlich ein ganz natürliches Phänomen, kann unter günstigen Lebensraumbedingungen die wichtigste Verlustursache einer Art sein, ohne sie im Geringsten zu gefährden (LANGGEMACH & BELLEBAUM 2005).

Prädation ist dabei in eine enge wechselseitige Beziehung mit Lebensraum und Witterung zu stellen. Optimale Witterungsverhältnisse und günstige Habitatbedingungen ermöglichen hohe Aufzuchtsraten und geringe Mortalitätsraten, so dass Verluste durch Beutegreifer kompensiert werden können.

In Deutschland haben Veränderungen der Landschaft in den vergangenen Jahrzehnten dafür gesorgt, dass die Lebensräume zahlreicher Arten massiv entwertet wurden. Vor allem die Besatzdichten von bodenbrütenden Arten der offenen Kulturlandschaft sind in den zurückliegenden Jahren dramatisch gesunken. Ist eine Beutetierart durch ungünstige Lebensraumbedingungen bereits soweit in ihrem Erhaltungszustand gefährdet, dass prädationsbedingte Verluste den im Jahresverlauf nachfolgenden Brutbestand dezimieren, wirkt Prädation limitierend auf die Beutetierpopulation (VOIGT 2009).

Erschwerend kommt hinzu, dass die Dichte und Artenvielfalt opportunistischer Prädatorenarten in den letzten Jahren stark angestiegen sind. Heute sind die meisten ausgestorbenen und stark gefährdeten Vögel in Deutschland am Boden brütende, also direkt mit vielen Beutegreifern konfrontierte Arten (LANGGEMACH & BELLEBAUM 2005).

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Foto 1: Prädiertes Großtrappen-Gelege. Quelle: Birgit Block

Als Bewohner der offenen Agrarlandschaft musste auch das deutsche Vorkommen der Großtrappe (Otis t. tarda) eine grundlegende Veränderung der ökologischen Bedingungen des Lebensraumes hinnehmen.Die Intensivierung der Landwirtschaft einhergehend mit einem dramatischen Verlust an Lebensraumfläche führte in Deutschland Mitte der 1990er Jahre beinahe zum Aussterben der Großtrappe. Durch intensive Schutzbemühungen konnten auf etwa 1% des ehemals großflächigen Verbreitungsgebietes bis heute drei Kernlebensräume für die Vögel erhalten werden: die Belziger Landschaftswiesen und das Havelländische Luch in Brandenburg, sowie das grenzüberlagernde Fiener Bruch in Sachsen-Anhalt und Brandenburg.

Nur mit Hilfe zahlreicher Auswilderungen von Jungtrappen hat sich derzeitig ein positiver Bestandstrend eingestellt. Heute zählt der bundesweite Großtrappenbestand wieder gut 165 Tiere (März 2014). Durch Koordination von Flächenbewirtschaftung und Mahd-Terminen im Brutgebiet sind Verluste von brütenden Großtrappen-Hennen oder -Gelegen durch menschliche Störung oder Landwirtschaftsarbeiten äußerst selten geworden. Seit den 1990er Jahren verhindert jedoch eine hohe Mortalität von Gelegen und Küken das Erreichen einer natürlichen, bestandserhaltenden Nachwuchsrate. Auch die Bestandszahlen des Großen Brachvogels (Numenius arquata) und weiterer Bodenbrüter im Großtrappenlebensraum sind seit Jahren rückläufig.

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Foto 2: Künstlich erbrütete Brachvogel-Küken. Das versehentlich freigemähte Gelege war 2013 im Fiener Bruch vor attackierenden Krähen geborgen worden. Quelle: Anna Marinko.

Bereits 1998 verwies LITZBARSKI auf die existenzielle Bedeutung der steigenden Anzahl prädationsbedingter Verluste für die bestandsbedrohten Wiesenbrüterarten und die Großtrappe. Ende der 1980er Jahre war es ein Erfolg, dass es überhaupt wieder regelmäßig Nachwuchs in der Großtrappenpopulation gab.

Zuvor lag die Nachwuchsrate mindestens 25 Jahre lang deutlich unter 0,1 Küken pro Henne und Jahr (LITZBARSKI & LITZBARSKI 1996). Nur die hohe Lebenserwartung der Tiere, sowie die bis heute noch jährlich durchgeführte Auswilderung von Hand aufgezogenen Jungvögeln haben das Aussterben der Art verhindert.

Im zurückliegenden Jahrzehnt wurden im Mittel gerade mal 13,8 Jungvögel pro Jahr flügge. Dass Prädation einer der wichtigsten Gründe für die niedrige Reproduktionsrate ist, belegen die fuchssicher eingezäunten Brutareale in den drei verbliebenen Kernlebensräumen. Auf jeweils ca. 20 ha verwehren die massiven Zaunanlagen einem Teil der Bodenprädatoren den Zugang zum Brutgeschehen im Inneren der Einzäunungen. Ein Vorteil, der von einem Teil der Bruthennen freiwillig jährlich angenommen wird. Bis heute entstammt der überwiegende Teil der flüggen Jungtrappen aus Gelegen, die innerhalb der Zaunanlagen bebrütet wurden (Abbildung 1).

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Das Umzäunen der Brutareale bringt jedoch auch bedeutsame Nachteile mit sich, und sollte deshalb keines Falls als Dauerlösung verstanden werden. Auch wenn durch die Zaunanlage einen Großteil der Bodenprädatoren vom Brutgeschehen im Inneren abhält, gilt das nicht für flugfähige Beutegreifer.

Es zeigte sich in den vergangenen Jahren, dass Rabenvögel die künstlich geschaffene, hohe Konzentration an Brutplätzen schnell ausfindig machen und daraufhin die umzäunten Flächen gezielt ansteuern, um sie nach Eiern abzusuchen. Im Havelländischen Luch führte die große Dichte an Großtrappenhennen, die sich jährlich innerhalb der räumlichen begrenzten Zaunanlage zur Brut einfinden, bereits zu äußerst aggressivem Verhalten zwischen den Vögeln.

Außerhalb der fuchssicheren Zaunanlagen haben Untersuchungen mit Thermologgern in den beiden Brandenburgischen Großrappengebieten beim Kiebitz und dem Großen Brachvogel gezeigt, dass es überwiegend nachts zu Verlusten von Gelegen kommt (LITZBARSKI & LITZBARSKI 2008).

Zahlreiche Beobachtungen belegen, dass tagsüber zusätzlich Rabenvögel für Gelege- und Kükenverluste sorgen. Im Jahr 1992 wurde im Havelländischen Luch mit einer gesteigerten Fuchsbejagung zu Gunsten der Großtrappe begonnen. Die Auswertung der dortigen Fuchsbejagung für die Zeitspanne von 2004 bis 2005 ergab, dass die Bejagungsintensität in diesem Zeitraum keinen positiven Effekt auf die Nachwuchsrate der Großtrappe hatte (SCHWARZ, SUTOR & LITZBARSKI 2005).

Dieses Ergebnis ließ die Autoren folgern, dass eine weitere Intensivierung der Bejagung und deren Kontinuität zwingend notwendig wäre, um die Gelege- und Kükenmortalität durch Prädation bei der Großtrappe und den anderen im Gebiet vorkommenden Bodenbrüterarten zu senken.

Beruhend auf dieser Erkenntnis beinhaltet das von der EU finanzierte Schutzprojekt des Fördervereines Großtrappenschutz e.V. zum Erhalt der Großtrappen im Fiener Bruch seit 2011 die Durchführung einer intensiven Raubwildbejagung im sachsen-anhaltischen Teil des Gebietes. Seither resultierende Streckenzahlen zeigen, dass die Kombination aus Fang-, Ansitz- und Baujagd bereits zu einer deutlichen Erhöhung der Raubwildstrecke im Lebensraum der Großtrappen geführt hat.

Zahlreiche Raubwildsichtungen während der Brutsaison 2012 ließen den Förderverein die Raubwildbejagung im Fiener Bruch noch weiter intensivieren. Im aktuellen Projektjahr 2013/14 wurde die Anzahl der Fallen auf 117 Fangeinrichtungen erhöht. Um die örtlichen Jäger bei der zeit-und arbeitsintensiven Fangjagd zu unterstützen, wurde im Oktober 2013 im Schutzprojekt zusätzlich eine halbe Berufsjägerstelle geschaffen.

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Foto 3: Holzkastenfalle über Entwässerungsgraben im Fiener Bruch. Quelle: Eike Mross

Mit einer vergleichenden Untersuchung zum Reproduktionserfolg des Großen Brachvogels  stellte GRIMM (2004) fest, dass mit einer Prädationsrate von 70% im Fiener Bruch und 78% in den Belziger Landschaftswiesen die Gelegeverluste durch Prädation auch bei diesem Bodenbrüter den entscheidenden Faktor für den geringen Bruterfolg darstellen.

Damals lag der Reproduktionserfolg beim Großen Brachvogel im Fiener Bruch bei 0,33 flüggen Jungvögeln pro Brutpaar und Jahr und in den Belziger Landschaftswiesen bei 0,21 flüggen juv./BP/Jahr (GRIMM 2004). Um den zum Erhalt des Brachvogelbestands benötigten Reproduktionswert von 0,41 flüggen Jungvögeln je Brutpaar und Jahr (KIPP 1999) in den beiden Gebieten wieder erreichen zu können, muss demnach der Prädationsdruck auf die Gelege deutlich gesenkt werden. Auch in einer Folgeuntersuchung im Jahr 2005 stellte GRIMM in den Belziger Landschaftswiesen fest, dass der dominierende Teil der Brachvogel-Gelege der Prädation zum Opfer fiel.

Wenn es zukünftig nicht gelingt, die aktuelle Zahl der prädationsbedingten Gelege- und Jungtierverluste deutlich zu minimieren und den Aufzuchterfolg der Zielarten zu steigern, werden zahlreiche Bodenbrüterarten trotz kostenaufwendiger Landschaftspflege und Habitat-Optimierung nicht zu erhalten sein.

Autor: Dorothée März

 

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